AW: Lehrerin sein kommt scheint's nicht gut an
Zitat von reanimated:
@anaj:
in einem geb ich dir sofort recht: in meinen Beiträgen hab ich das Bild einer Lehrerin sehr idealistisch dargestellt und das Bild einer z.B. Managerin eher negativ. Aber ich hab auch deutlich zu machen versucht, dass es dabei um einen persönlichen Eindruck geht. Und damit mein ich nicht, dass ich das dann dabei pauschalisieren würde - sondern dass das lediglich meine Assoziation ist. Mein erster Gedanke, wenn ich an bestimmte Berufsgruppen denke und was ich mir dabei vorstelle. Selbst wenn ich weiss, wie wenig so ein "Gefühl" in der Realität mit konkreten Personen zu tun haben muss. Mir ging es darum, dass eben nicht jeder mit "Lehrerin" automatisch etwas Abschreckendes verbindet, sondern ganz im Gegenteil es auch Menschen gibt, die mit dem Beruf einer "Lehrerin" etwas sehr Positives verbinden und daher auch eher geneigt sind, diese hier (bei PS) eher anzusprechen.
Dann haben wir einfach unterschiedliche Lebenserfahrungen, die ich natürlich akzeptiere und respektiere. Ich weiss nur: ich erlebe es immer wieder, dass Menschen, die gefördert werden (in ihren Begabungen und Talenten sowie ihrer Individualität), mehr im Leben erreichen, als solche, die auf eine "karriere- und leistungsorientierte Gesellschaft" hin vorbereitet werden. Wobei es natürlich davon abhängt, was man unter 'Erfolg' definiert.
Es kommt ganz darauf an, wer, wann und wie gefördert wird. Manchmal konzentriert man sich auch heute zu sehr auf einzelne Schüler, so dass der gesamte Schulbetrieb darunter leiden kann. Man muss akzeptieren, dass nicht jeder die gleichen Leistungen bringen kann – egal wie stark man auch fördert. Und dann muss man auch die Konsequenzen ziehen und nicht ewig rumexperimentieren.
Zitat von reanimated:
Ich bin in einer Zeit und in einer Umgebung großgeworden, in der natürlich Leistung zählte. In der das reine Bildungs-Niveau m.E. auch weit höher war als heute. Und ich hatte nie Probleme damit, diesen Anforderungen gerecht zu werden, im Gegenteil. Aber ich hab es damals erlebt, das selbst z.B. bei einer Klassenstärke von bis zu 30 Mann niemand unterging. Dass sich Zeit genommen wurde für jeden Einzelnen, dass individuell Begabungen gefördert wurden. Und dass Kinder (Schüler) in stärkerem Maße als heute auf das Leben vorbereitet wurden.
Ich bin in einer Umgebung groß geworden, in der bei 30 Mann auch niemand unterging. Dennoch standen die wenigen schwächeren Schülern in unserer Klasse ständig im Mittelpunkt. Darunter litt man als stärkerer Schüler, weil man ständig auf die schwächeren Schüler warten müsste und im eigenen Lernfluss gehindert wurde. Auf schwächere Schüler Rücksicht nehmen und diese zu fördern, ist natürlich wichtig und auch richtig, aber es müssen Grenzen gesetzt werden, damit die stärkeren Schüler nicht unterfordert sind. Und irgendwann muss man dann einfach aussieben, damit alle Schüler richtig gefördert und gefordert werden. Es war für uns jedenfalls eine Erleichterung als diese schwächeren Schüler endlich sitzen geblieben sind.
Ich fand es in meiner Schulzeit also eher hinderlich, dass wir ständig auf gewisse Schüler warten mussten. In der 1. und 2. Klasse hat man das als Schüler noch nicht so mitbekommen, aber danach schon.
Diese Schüler konnten nichts dafür, dass sie nur eine begrenzte Aufnahmefähigkeit hatten, aber aufgrund vorhandener Rahmenbedingungen müssten wir sie sozusagen mitschleifen. Das war keine Lösung. Diesen Schülern half auch die individuelle Förderung nicht, weil die Klasse einfach ein höheres Leistungsniveau hatte und ihre Fähigkeiten einfach begrenzt waren. So wurde man niemandem gereicht.
Solche Unterschiede muss man einfach auch akzeptieren können und dann muss man die Spreu vom Weizen trennen. Man kann nicht immer alles gleich machen und gleich behandeln. Sicherlich hat sich auf diesem Gebiet viel getan, z.B. mit Leistungskursen oder Förderkursen. Sowas gab es am Anfang meiner Schulzeit nicht, so dass die Förderung (z.B. ständige Wiederholungen) auch oft im Unterricht stattfand.
Als besserer Schüler wurde man in meiner Klasse dann dazu verdonnert, sich neben einen schwächeren Schüler zu setzen. Da es nur ein paar schwächere Schüler gab, war davon nicht jeder betroffen. Ich „durfte“ mich neben einen schwächeren Schüler setzen (anstatt neben meiner Freundin sitzen zu bleiben). Als Kind empfand ich das als sehr unfair, da andere sich nicht umsetzen müssten und neben ihren Freundinnen / Kumpels sitzen bleiben konnten.
Zitat von reanimated:
Indem sie die Chance bekamen, trotz Leistungsdruck eben gerade nicht darin unterzugehen und "ausgesiebt" zu werden, selbst wenn sie in der heutigen "das-Leben-ist-kein-Ponyhof"-Mentalität durchs Raster gefallen wären. Und genau das stört mich heute.
Ich sehe das nicht so negativ wie Du, weil ich es wichtig finde, dass Schüler ihren Leistungen und Fähigkeiten entsprechend gefördert werden müssen. Manchmal muss man also aussieben.
Zitat von reanimated:
Und ich hab es nicht nur zu Schulzeiten erlebt, wieviel individuelle Förderung ausmachen kann, sondern auch später zu Studienzeiten.
Sicherlich ist es wichtig, dass man sich Zeit nimmt, um Schüler individuell zu fördern. Dafür müssen aber Zeit und Raum stimmen.
Zitat von reanimated:
Also in der heutigen Zeit. Diejenigen Dozenten, Hochschul-Lehrer und Betreuer, die sich die Mühe gemacht haben, statt reinem Leistungsdruck parallel dazu auch auf den einzelnen Menschen einzugehen, sich Zeit zu nehmen und darüber hinaus auch von sich aus auf einen zugehen und Hilfe oder Unterstützung oder was auch immer anzubieten - was eben nicht selbstverständlich ist - haben den Betroffenen mehr im Leben gegeben als man das aus nüchtern-rationaler Sicht vermuten würde.
Kann man hier nur davon sprechen, dass sich gewisse Dozenten, Lehrer etc. Mühe geben haben??! Ich denke, dass das allein auch nicht ausreicht. Manche Lehrmethoden oder Lehrkörper empfand man einfach ganz subjektiv als besser oder passender. Da spielt die Chemie zwischen den Menschen und das Interesse an der Materie auch eine große Rolle.
Zitat von reanimated:
Aus persönlicher Erfahrung kann ich dir sagen: ich bin damals überdurchschnittlich erfolgreich ins Studium gestartet. Und ich hätte es auch mind. genauso erfolgreich abgeschlossen - wenn mich persönliche Umstände und Schwächen nicht dazu gebracht hätten, meine Ziele aus den Augen zu verlieren. Klassischerweise wäre ich somit in einer rein leistungsorientierten Gesellschaft untergegangen.
Ich empfinde die heutige deutsche Gesellschaft nicht als zu leistungsorientiert. Anstatt Leistung zu honorieren, sind wir im Großen und Ganzen damit beschäftig, alles gleich zu machen und es allen recht zu machen.
Zitat von reanimated:
Und nicht nur das - ohne die unerwartete, indirekte Unterstützung und individuelle Förderung auf ganz unterschiedlichen Ebenen würde ich heute nicht mehr leben und das hier schreiben…...
Das hört sich danach an, dass Du einen schweren Schicksalsschlag erlebt hast. Es freut mich, dass Du es scheinbar gut überstanden hast.
Natürlich ist es immer wieder schön und beruhigend, dass wir individuelle Förderung und Unterstützung auf ganz unterschiedlichen Ebenen erfahren können. Das ist immer wieder ein schönes Geben und Nehmen.
Zitat von reanimated:
Warum also sollte ich meinen Kindern eine rationalere, leistungs-orientiertere Ausbildung wünschen? Ich glaube - ohne dir zu nahe treten zu wollen - dass du diese Antwort ein wenig schuldig geblieben bist...
Ich denke, dass es in den ersten Schuljahren wichtig ist, die Freude und Neugierde am Lernen zu fördern. Das habe ich z.B. so erlebt (aus einem Elternhaus und durch die Schule), aber die falsch verstandene Rücksichtnahme auf schwächere Schüler war damals oft hinderlich. Die Durchführung war falsch.
Heute sehe ich leider wieder gewisse Parallelen, aber auf anderer Ebene. Heute bekomme ich durch Freunde immer wieder mit, dass gerade in den ersten Schuljahren die Versäumnisse mancher Eltern oder ander Unzulänglichkeiten aufgeholt werden müssen. Das ist natürlich wichtig, da die Kinder unsere Zukunft sind. Aber die Durchführung kann von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich sein. Die Durchführung dieser Förderung ist nicht immer ideal. Ich bekomme also manchmal wieder den Eindrück, dass manche Schüler für die Fehler und Versäumnisse der Eltern gewisser benachteiligter Schüler geradestehen müssen. Aber so kann es auch nicht sein.
Ich finde es wichtig, dass Teenager eine rationale, leistungsorientierte Ausbildung genießen können, da dies wegweisend ist und wir nicht auf einem Ponyhof leben.
Ich würde meinen Kindern auch nur die beste Ausbildung ermöglichen wollen. Man muss natürlich mit den gegebenen äußeren Rahmenbedingungen leben. Aber eine gewisse Wahl hat man trotzdem. Ich würde meine Kinder jedenfalls nie auf eine Waldorfschule schicken. Ich würde sogar den Wohnort wechseln, wenn die Kinder ein bestimmtes Alter erreicht haben, damit sie den bestmöglichen Start ins Schulleben haben.
Zitat von reanimated:
Ich glaube aber, dass das "Problem" einfach darin liegt, dass wir Ziele und Erfolg im Leben einfach anders definieren. Was ja legitim ist.
Das mag sein. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass falsche Rücksichtnahme, ungezielte / unverhältnismäßige Förderung und die heutige Gleichmacherei der Bildung unserer Kinder eher im Wege stehen.